Obligatorische Anschlussversicherung greift trotz Leistungsbezug nach AsylbLG : Urteil des BSG vom 10.03.2022 – B 1 KR 30/20 R

Nach wie vor wird die Durchführung der obligatorischen Anschlussversicherung seitens der Krankenkassen regelhaft abgelehnt. Das Bundessozialgericht hat nun ausgeurteilt, dass der Bezug von Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) keine die obligatorische Anschlussversicherung ausschließende Absicherung im Krankheitsfall darstellt.

Gegenstand des Rechtsstreits waren stationäre Behandlungen eines türkischen Staatsangehörigen im Hause des klagenden Krankenhauses im Jahr 2017. Der Patient war aufgrund eines vom 05.09. bis 16.12.2016 bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in diesem Zeitraum bei der beklagten Krankenkasse pflichtversichert. Rückwirkend wurden ihm mit Bescheid vom 06.04.2017 ab Dezember 2016 durch den zuständigen Leistungsträger laufende Leistungen zum Lebensunterhalt nach AsylbLG bewilligt.

Ulrike Hildebrand

Ulrike Hildebrand

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Medizinrecht

Rechtsanwältin Hildebrand berät und vertritt Krankenhäuser im Krankenhausrecht, insbesondere zur Vergütung stationärer Krankenhausleistungen, (DRG-Abrechnungen, Fallprüfungen) und hiermit in Zusammenhang stehenden Klageverfahren, außerdem berät sie Leistungserbringer zur Kostensicherung.

Das Sozialgericht Speyer und das LSG Rheinland-Pfalz verurteilten die Beklagte zur Zahlung, das BSG bestätigte diese Entscheidungen. Der Patient sei in den strittigen Behandlungszeiträumen bei der Beklagten gemäß § 188 Abs. 4 SGB V krankenversichert gewesen.

Die Möglichkeit des Zugangs des Patienten zur obligatorischen Anschlussversicherung sei kraft seiner unmittelbar vorausgegangenen, bei der Krankenkasse bis zum 16.12.2016 bestehenden Versicherungspflicht, eröffnet gewesen. Diese sei auch nicht dadurch entfallen, dass die beigeladene AsylbLG-Trägerin dem Patienten rückwirkend Grundleistungen nach § 3 AsylbLG bewilligt hatte. Die
Voraussetzungen des § 5 Abs. 8a SGB V seien im vorliegenden Fall schon tatbestandlich nicht erfüllt,  da nur (Analog) – Leistungen nach § 2 AsylbLG über § 264 Abs. 2 SGB V zur hier ausreichenden, aber auch erforderlichen krankenversicherungsgleichen Absicherung geführt hätten. Die Bewilligung von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG eröffneten dagegen nur Ansprüche auf den abgesenkten Versorgungsanspruch bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt. Es komme deshalb auch nicht darauf an, ob § 5 Abs. 8 a SGB V entsprechend auf § 188 Abs. 4 SG V anwendbar sei, wozu der Senat aber neige.

Insbesondere kam der Senat zu dem Ergebnis, dass aufgrund entgegenstehender Regelungszwecke und dem Fehlen einer Regelungslücke eine analoge Anwendung von § 5 Abs. 11 S.3  SGB V nicht in Betracht komme. Diese Vorschrift bestimmt für die Auffangpflichtversicherung, dass bei Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG eine Absicherung im Krankheitsfall bereits dann vorliegt, wenn – wie in der vorliegenden Konstellation – ein Anspruch auf Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt nach § 4 AsylbLG dem Grunde nach besteht.  Der Regelungszweck des § 5 Abs. 11 SGB V bestehe darin, eine voraussetzungslose unkontrollierte erstmalige Aufnahme mittels der Auffangpflichtversicherung in die GKV auszuschließen. Berechtigte nach dem AsylbLG, die noch aus keinem anderen Grund eine Aufnahme in der GKV gefunden haben oder in den Schutz eines der GKV entsprechenden Sicherungsniveaus gelangt sind, sollten auch für die Absicherung im Krankheitsfall allein dem AsylbLG zugewiesen bleiben. Diese Zielrichtung werde auch in § 5 Abs. 11 Satz 2 SGB V sichtbar, wonach für Unionsbürger, die nur unter den Voraussetzungen eines ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ein Recht auf Einreise und Aufenthalt haben, keine Möglichkeit der Absicherung in der Auffangpflichtversicherung besteht. Der Gesetzgeber habe § 188 Abs. 4 Satz 3 SGB V zudem geschaffen in Kenntnis der bestehenden Regelung in § 5 Abs. 11 Satz 3 SGB V, sodass ebenso wenig von einer unbewussten Regelungslücke auszugehen sei.

Aufgrund der Pflichtversicherung im Rahmen seiner Beschäftigung hatte der Patient somit, so das BSG, eine hinreichende Nähe zum Versicherungssystem erlangt und war weiterhin nach § 188 Abs. 4 SGB V bei der Beklagten krankenversichert.

Die Entscheidung verdeutlicht die hohe praktische Relevanz der zum 01.08.2013 eingeführten Vorschrift der obligatorischen Anschlussversicherung, da eine Auffangpflichtversicherung bei diesem Patienten aufgrund der Ausschlussnorm des § 5 Abs. 11 S. 3 SGB V nicht in Betracht gekommen wäre. Bei nichtversicherten Patienten, die bereits im Rahmen einer Pflichtversicherung oder Familienversicherung Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung waren, ist daher in der Fallbearbeitung stets § 188 Abs. 4 SGB V zu prüfen.