Wer schreibt, der bleibt!

Die Entscheidung des BSG vom 22.6.2022 (B 1 KR 19/21 R) wird zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels ihr einjähriges Jubiläum feiern – Anlass für ein kurzes Resümee.

Sachverhalt

Die Krankenkasse hatte hier nach dem Antrag des Versicherten auf Kostenübernahme der operativen Magenverkleinerung bei einem BMI von >50 kg/m2 zunächst den Medizinischen Dienst mit einer Begutachtung beauftragt, der keine Operationsindikation sah. In der Folge lehnte die Krankenkasse den Antrag ihres Versicherten diesem gegenüber ab. Gleichwohl suchte der Versicherte einige Zeit später das Klinikum der Klägerin auf, wo richtigerweise die Schlauchmagen-OP durchgeführt wurde. Die Rechnung des Krankenhauses beglich die Krankenkasse nicht, leitete aber auch kein förmliches Prüfverfahren ein.

Die Entscheidung des Bundessozialgerichts lässt sich auf das Folgende herunterbrechen:

  • Keine Bindungswirkung durch Antragsverfahren nach § 13 SGB V im Gleichordnungsverhältnis;
  • Aufgabe der „ultima-ratio“-Rechtsprechung;
  • Notwendigkeit der hinreichenden Abwägung von Nutzen und Risiken nebst entsprechender Aufklärung;
  • Beweiserhebungs- und verwertungsverbot bei unterlassener Prüfungseinleitung.
Eric Gröger

Eric Gröger

Rechtsanwalt

Rechtsanwalt Gröger berät und vertritt Krankenhäuser im Krankenhausrecht, insbesondere zur Vergütung stationärer Krankenhausleistungen, (DRG-Abrechnungen, Fallprüfungen) und hiermit in Zusammenhang stehenden Klageverfahren.

Auswirkungen

Anders als zunächst gehofft, führten die Feststellungen des Gerichts zu keinem erkennbaren Rechtsfrieden.

Während die Entscheidung auf Seiten der Leistungserbringer zunächst für verhaltene Freude sorgte, kippte mit Veröffentlichung der Entscheidungsgründe die Stimmungslage. Die Kostenträger verlagern seitdem das Spielfeld weg vom Medizinischen hin zum Formellen: Abwägung und Aufklärung werden moniert.

Über die Gründe, weswegen sich das BSG überhaupt zu den Anforderungen bezüglich Abwägung und Aufklärung äußerte, kann nur gemutmaßt werden. Zwingend war dies jedenfalls nicht, denn beides wurde in den Instanzen nicht gerügt. Die bemühte Argumentation mit der Patientensicherheit dürfte gewagt sein, da die Interessen der Patienten in anderen Konstellationen („fiktive Beurlaubung“) weitestgehend nebensächlich sind.

Unklar bleibt auch, wie die vom BSG aufgestellten Kriterien (Erfolgsaussichten der nicht-invasiven Therapieoptionen, voraussichtliche Dauer bis zu einem spürbaren Erfolg, Ausmaß der bereits bestehenden Folge- und Begleiterkrankungen der Adipositas und die dadurch bedingte Dringlichkeit der Gewichtsreduktion) zu einer sachgerechten Abwägung im Einzelfall führen sollen.

Insbesondere in dem zuvor geschilderten Sachverhalt stehen laut des Expertenkonsenses offensichtlich keine konservativen Therapiealternativen mehr zur Verfügung.  Durch Studien gesicherte Belege für einen langfristigen Erfolg einer konservativen Therapie existieren nicht. Angesichts dieser Datenlage gilt die bariatrische Chirurgie derzeit unter Experten als „Goldstandard“ für die Behandlung der schwergradigen Adipositas. Dies ist mit Sicherheit auch dem Umstand geschuldet, dass durch die chirurgischen Eingriffe ein schnellerer und nachhaltigerer Gewichtsverlust erreicht werden kann (vgl. hierzu Huster/Sharma/Otto, Anspruch auf Leistungen der bariatrischen Chirurgie – Rechtsfragen und ethische Aspekte, Juni 2022).

Die Annahme, dass eine Remission einer hochgradigen Adipositaserkrankung durch alleinige
konservative Maßnahmen zu erreichen ist, beruht auf dem Heilungserfolg eines Bruchteiles der hochgradig adipösen Teile der Bevölkerung. Es gibt derzeit keine qualitativ hochwertigen Belege dafür, dass eine konservative Behandlung schwerer Adipositas nach internationalen Evidenzkriterien als wirksame Behandlung für schwere Adipositas angesehen werden kann (vgl. hierzu (Huster/Sharma/Otto, a.a.O.).

Müssen diese in der Fachwelt allgemein bekannten Tatsachen wirklich der Form halber in jeder Akte verschriftlicht werden?  Vor dem Hintergrund der o.g. Entscheidung kann die Antwort zum jetzigen Zeitpunkt bedauerlicherweise nur „Ja“ lauten.

Der Unmut hierüber ist nachvollziehbar. Zu dokumentieren ist allein das, was medizinisch notwendig ist. Diesem Grundsatz folgen die Ärzte regelhaft. Weitere Ausführungen, ohne Mehrwert bei gleichzeitigem Mehraufwand, sollten nicht gefordert werden.

Fazit

Mithin bestehen erhebliche Zweifel, dass die Einwendungen der Kostenträger, die auf praxisfernen Überlegungen beruhen, zielführend sind. Gleichwohl müssen die Verfahren trotz des medizinisch eindeutigen Sachverhalts weitergeführt werden, was weder im Sinne des Rechtsfriedens noch der Prozessökonomie sein kann. Dass den Patienten durch die Eingriffe zu einer besseren Lebensqualität verholfen wird, bleibt wieder einmal ohne Belang.