Fallzusammenführung – Alle Klarheiten beseitigt

Am 26.04.2022 fand vor dem Bundessozialgericht unter dem Az. B 1 KR 14/21 R eine Verhandlung statt, in der es um die Frage ging, ob eine Fallzusammenführung aufgrund des sogenannten fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens geboten war.

Besonderheit in diesem Fall war, dass die Fallzusammenführung nach § 2 Absatz 2 S. 2 Fallpauschalenvereinbarung in Spalte 13 der betroffenen DRG ausgeschlossen war.

Dem Streit lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die bei der beklagten Krankenkasse (KK) Versicherte wurde im Krankenhaus (KH) der Klägerin zunächst stationär vom 05. bis 11.05.2011 wegen der Abklärung von Blutabgängen zur Diagnostik und Therapie aufgenommen. Die Versicherte wurde daraufhin mit der Diagnose Analkarzinom am Tag vor der interdisziplinären Tumorkonferenz des KH entlassen und in Umsetzung des Ergebnisses der Tumorkonferenz am 19.05.2011 zur laparoskopischen Sigmoideostoma-Anlage und Ädhäsiolyse sowie zur Implantation eines Ports für eine anschließende Radiochemotherapie erneut stationär aufgenommen und am 31.05.2011 aus der stationären Behandlung entlassen.

Thomas Wernitz

Thomas Wernitz

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht

Rechtsanwalt Wernitz berät und vertritt Krankenhäuser im Krankenhausrecht, insbesondere zur Vergütung stationärer Krankenhausleistungen, (DRG-Abrechnungen, Fallprüfungen) und hiermit in Zusammenhang stehenden Klageverfahren. Außerdem hält er Vorträge zum Krankenhausrecht und führt Schulungen durch.

Das KH berechnete für den ersten Aufenthalt die DRG G60B und für den zweiten Aufenthalt die DRG G18B. Nach der DRG G60B, Spalte 13, war eine Fallzusammenführung ausgeschlossen.

Die Vorinstanzen haben die beklagte Krankenkasse entsprechend verurteilt.

Die Revision der Krankenkasse hatte vor dem Bundessozialgericht Erfolg.

Der Senat urteilte, dass jedenfalls für die Zeit vor 2019 die Berechnung zweier Behandlungsfälle als einen Behandlungsfall nach den aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot abgeleiteten Grundsätzen des fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens nicht dadurch ausgeschlossen werden könne, dass die Vertragsparteien der Fallpauschalenvereinbarung Regelungen über die Fallzusammenführung vereinbart haben. Die preisrechtlichen Regelungen der FPV seien aufgrund ihrer Stellung in der Normenhierarchie und ihrer rechtssystematischen Verortung außerhalb der GKV nicht in der Lage das Wirtschaftlichkeitsgebot einzuschränken. Es fehle diesbezüglich eine spezifische gesetzliche Ermächtigung.

In der Regel sei ein Zeitraum von zehn Tagen ab der Entscheidung über die Entlassung bis zur Fortsetzung der Behandlung noch als überschaubar anzusehen und daher eine Beurlaubung vorzunehmen. In der schriftlichen Urteilsbegründung wird diese Zehn-Tage-Regelung dahingehend eingeschränkt, wonach diese Frist nicht gelten solle, wenn die Verzögerung auf rein organisatorischen Zwängen und Kapazitätsproblemen im Krankenhaus beruhe. Das Wirtschaftlichkeitsgebot gebiete es dann, Versicherte auch über zehn Tagen hinaus zu beurlauben.

Kritik

Das BSG bleibt bei seiner Linie, dass zumindest Behandlungsfälle vor dem 01.01.2019, also vor Inkrafttreten des § 8 Absatz 5 S. 3 Krankenhausentgeltgesetz dahingehend überprüft werden müssen, ob gegen die Regelungen des sogenannten fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens verstoßen wurde.

In § 2 Absatz 2 Fallpauschalenvereinbarung haben die Vertragsparteien der Selbstverwaltung nach § 17b Absatz 2 S. 1 KHG eine Ausschlussregelung für die Fallzusammenführung getroffen, die auf Wirtschaftlichkeitserwägungen beruht und damit das Wirtschaftlichkeitsgebot mit normativer Wirkung konkretisiert.

Gegenstand der normvertraglichen Regelung sind nicht nur die Fallpauschalen selbst, sondern auch die Abrechnungsbestimmungen für die Entgelte. Dabei ist den Partnern der Selbstverwaltung nach § 17b Absatz 2 S. 1 KHG auch ein entsprechender Gestaltungsspielraum zuzubilligen, den die Gerichte zu respektieren haben. Warum das BSG im vorliegenden Fall dies negiert, ist nicht nachvollziehbar und auch nicht konsequent. So hat das BSG in seiner Entscheidung vom 18.05.2021 unter dem Az. B 1 KR 37/20 R ausdrücklich drauf hingewiesen, dass der GKV Spitzenverband und die Deutsche Krankenhausgesellschaft das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Absatz 1c SGB V regeln sollen und diese Vorschrift die Parteien der Prüfverfahrensvereinbarung auch dazu ermächtige, an die Verletzung von Mitwirkungsobliegenheiten im Prüfverfahren Rechtsfolgen zu knüpfen, die die Durchsetzung des Vergütungsanspruchs betreffen.

So waren nach diesseitiger Auffassung die Partner der Selbstverwaltung auch befugt in der Fallpauschalenvereinbarung Regelungen zur Fallzusammenführung und deren Ausschluss abschließend zu treffen. Dabei haben sie in pauschalierender Betrachtungsweise in Spalte 13 jene Fallpauschalen benannt, bei denen davon auszugehen ist, dass typischerweise zwei oder mehrere Krankenhausaufenthalte statt eines einzigen Aufenthalts medizinisch und wirtschaftlich gerechtfertigt sind. Die nach dem Willen der Vertragsparteien „klare“ Regelung wird durch die Rechtsprechung des BSG konterkariert.

Es bleibt zu hoffen, dass das Bundessozialgericht in einem bereits anhängigen Gerichtsverfahren (B 1 KR 10/22 R) zumindest jetzt Klarheit schafft, dass mit Inkrafttreten des § 8 Absatz 5 S. 3 KHEntgG die Regelungen der Fallpauschalenvereinbarung für Krankenhäuser und Krankenkassen abschließend sind und diese jeweils auch darauf vertrauen dürfen.