Die Mindestmengenklage ab 2022

Mit Urteil vom 25.03.2021 hat das Bundessozialgericht in der Sache B 1 KR 16/20 R mittels Sprungrevision entschieden, dass der richtige Rechtschutz gegen die Entscheidung der Landesverbände der Krankenkassen und Ersatzkassen die Anfechtungsklage ist. So führte das Bundessozialgericht aus, dass das Begehren – die Beseitigung der Widerlegungsentscheidungen der Kassenverbände – zutreffend mit der Anfechtungsklage verfolgt wird. Denn bei dieser Entscheidung handelt es sich um Verwaltungsakte, durch deren Beseitigung die für die Zulässigkeit der Leistungsbewirkung erforderliche Mindestmengenprognose der Krankenhausträgerin wieder auflebt, ohne dass es einer positiven Entscheidung der Kassenverbände oder des Gerichts bedürfte. So heißt es in der Entscheidung des Bundessozialgerichts wörtlich:

Andreas Bortfeld

Andreas Bortfeld

Rechtsanwalt

Rechtsanwalt Bortfeld berät und vertritt Krankenhäuser im Krankenhausrecht, insbesondere zur Vergütung stationärer Krankenhausleistungen, (DRG-Abrechnungen, Fallprüfungen) und hiermit in Zusammenhang stehenden Klageverfahren.

Die Widerlegung der Prognose nach § 136b Abs 4 Satz 6 SGB V ist eine hoheitliche Regelung mit Außenwirkung iS des § 31 Satz 1 SGB X, mit der verbindlich über den Bestand der Mindestmengenprognose des Krankenhausträgers für das Folgejahr entschieden wird. Der Krankenhausträger und die Kassenverbände stehen sich dabei nicht – wie etwa Krankenhäuser und KKn im Vergütungsverhältnis – gleichgeordnet gegenüber. Vielmehr besteht -wie etwa bei der Zulassung eines Leistungserbringers nach § 124 Abs. 2 Satz 1 SGB V – ein Über-/Unterordnungsverhältnis.

Rechtsfolge einer Anfechtungsklage ist, dass dieser grundsätzlich eine aufschiebende Wirkung zukommt und insofern der angegriffene Verwaltungsakt keine Außenwirkung entfaltet (vgl. § 86 a Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Daher können auch die mindestmengenrelevanten Leistungen grundsätzlich weiterhin bewirkt werden. Bisher mussten die Landesverbände deshalb die sofortige Vollziehung ihrer Entscheidung anordnen, damit eine weitere Erbringung unzulässig ist.

Mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz – GVWG) hat der Gesetzgeber nunmehr den Rechtsschutz gegen die Widerlegung der Prognose relevant verändert. Der § 136 b Abs. 5 SGB V wurde unter anderem um den folgenden Halbsatz ergänzt:

Klagen gegen die Entscheidungen nach Satz 6 haben ab der Prognose für das Jahr 2023 keine aufschiebende Wirkung“.

Somit müssen die Landesverbände die sofortige Vollziehung des Bescheides nicht mehr anordnen, sondern es ist der Grundfall, dass trotz Klage gegen eine negative Entscheidung der Landesverbände die Leistungen nicht mehr bewirkt werden dürfen. Mit dem Wissen, dass die meisten Sozialgerichte überlastet sind – mit einem mehrjährigen Klageverfahren über zwei Instanzen ist zu rechnen – droht dem Leistungserbringer ein mehrjähriges Leistungserbringungsverbot.

In der Zukunft wird daher der einstweilige Rechtschutz mehr und mehr in den Fokus rücken. Neben der Anfechtungsklage müsste dann der Krankenhausträger gemäß § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG mit Erhebung der Klage die Anordnung einer aufschiebenden Wirkung beantragen. Bis zum (hoffentlich positiven) Abschluss dieses vorläufigen Rechtsschutzverfahrens ist es dem Leistungserbringer allerdings weiterhin untersagt, die betreffende Leistung zur Erreichung der Mindestmenge zu erbringen.

Ferner hat der Gesetzgeber im Rahmen des GVWG mit der Änderung des § 136b Abs. 5 Satz 6 SGB V ausdrücklich klargestellt, dass die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen die seitens der Krankenhausträger übermittelten Prognosen im Falle von begründeten erheblichen Zweifeln an deren Richtigkeit durch Bescheid widerlegen müssen. Handelte es sich bisher um eine „kann“-Vorschrift, so dass die Landesverbände trotz Zweifel von einer Widerlegung absehen konnten, wird diese nun zu einer „muss“-Vorschrift. Somit besteht eine ausdrückliche Verpflichtung zur Widerlegung der Prognose bei erheblichen Zweifeln.

Damit es zu einer einheitlichen Widerlegungspraxis der Landesverbände der Krankenkassen und der Ersatzkassen kommt, wurde der G-BA dazu verpflichtet, mit Wirkung zum 1. Januar 2022 Regelbeispiele in den Mm-R aufzunehmen, wann bei einer übermittelten Prognose „begründete erhebliche Zweifel“ bestehen. Als festzulegende Regelbeispiele sollen insbesondere häufig eintretende Fallkonstellationen in Betracht kommen. Jedoch soll es den Landesverbänden ebenso möglich sein, Prognosen wegen anderer vorliegender Umstände zu widerlegen. In begründeten Einzelfällen soll trotz einschlägigen Regelbeispielen jedoch von einer Widerlegung abgesehen werden können (vgl. Gesetzesbegründung zum GVWG).

Es ist daher in der Zukunft besondere Eile geboten, wenn ein entsprechender Widerlegungsbescheid eingeht. Denn es gilt bis zum Abschluss des Klageverfahrens zu verhindern, dass Umstände eintreten, die perspektivisch der Zulässigkeit der Leistungserbringung mangels berechtigter mengenmäßiger Erwartungen in den Folgejahren entgegenstehen und so vollendete Tatsachen geschaffen werden. So kann beispielsweise eine Leistungserbringungspause zur Folge haben, dass die erforderliche Leistungsmenge im vorausgegangenen Kalenderjahr und den letzten zwei Quartalen des vorausgegangenen Kalenderjahres und den ersten zwei Quartalen des laufenden Kalenderjahres nicht erreicht wurde.