Ambulante Behandlung im Schockraum

Die Sektorgrenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung scheinen zuweilen recht schwammig zu sein. Das Bundessozialgericht (BSG) hat in einem Urteil vom 13.05.2021, – B 1 KR 11/20 R –, zumindest die Frage geklärt, wann noch eine ambulante Notfallbehandlung vorliegt und wann bereits von einer stationären Aufnahme auszugehen ist.

Melanie Tewes

Melanie Tewes

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Medizinrecht

Rechtsanwältin Tewes berät und vertritt Vertragsärzte, Krankenhäuser und andere Leistungserbringer in medizinrechtlichen, vorwiegend vertragsärztlichen Angelegenheiten (Ambulanzen, Ermächtigungen).

Sachverhalt

Die Patientin wurde am 15.02.2015 um 5.40 Uhr mit einem Rettungswagen in das klagende Krankenhaus eingeliefert. Dort veranlasste man um 5.51 Uhr eine labortechnische Untersuchung und ein CT des Schädels. Die Patientin wurde zunächst zur Überwachung und künstlichen Beatmung in den Schockraum des Krankenhauses verbracht und anschließend gegen 6.50 Uhr in die neurochirurgische Klinik eines anderen Krankenhauses. Dort wurde sie noch am selben Tag operiert.

Entscheidungsgründe des BSG

In Streit stand nun, wie die ca. 1-stündige Behandlung im Schockraum zu vergüten ist.

Das Krankenhaus habe nach Auffassung des BSG keinen Anspruch auf Vergütung einer vollstationären Behandlung. Der Beginn der vollstationären Behandlung setze die vorherige Aufnahme des Patienten in das Krankenhaus voraus.

Als Aufnahme werde die organisatorische Eingliederung des Patienten in das spezifische Versorgungssystem des Krankenhauses verstanden. Von einer vollstationären Krankenhausbehandlung sei dann auszugehen, wenn der Patient nach der Entscheidung des Krankenhausarztes mindestens einen Tag und eine Nacht ununterbrochen im Krankenhaus versorgt werden solle. Maßgeblich sei hierbei jedoch nicht die tatsächliche Behandlungsdauer im Krankenhaus, sondern die zur Zeit der Aufnahmeentscheidung auf Grundlage des hierbei getroffenen Behandlungsplans prognostizierte Behandlungsdauer. Die Aufnahmeentscheidung des Krankenhausarztes auf Basis eines entsprechenden Behandlungsplanes werde nach außen regelmäßig durch die Einweisung auf eine bestimmte Station, die Zuweisung eines Bettes oder das Erstellen entsprechender Aufnahmeunterlagen und Ähnliches dokumentiert. Die Aufnahmeentscheidung müsse dabei weder ausdrücklich erklärt noch förmlich festgehalten werden. Sie könne sich auch aus der bereits eingeleiteten Behandlung selbst ergeben.

Auch bei einer Notfallbehandlung im Schockraum diene die Aufnahmeuntersuchung zunächst der Klärung, ob eine (voll-)stationäre Behandlung des Patienten erforderlich und vom Versorgungsauftrag des Krankenhauses umfasst ist. Die hierzu im Schockraum vorgenommenen medizinischen Maßnahmen und Untersuchungen begründen nach Auffassung des BSG nicht bereits selbst die Aufnahme in das Krankenhaus. Mit der Behandlung in einem Schockraum sei regelmäßig noch keine spezifische Einbindung in das Versorgungssystem eines Krankenhauses verbunden. Vielmehr ermögliche erst die Behandlung im Schockraum selbst die im Rahmen einer akuten ambulanten Notfallbehandlung erforderliche Entscheidung über die weitere Behandlung, insbesondere über die Aufnahme des Patienten in die stationäre Versorgung. Bis zu dieser Entscheidung handele es sich ungeachtet des Umfangs des Mitteleinsatzes um eine ambulante Behandlung. Komme es nicht zur stationären Aufnahme in dem notfallbehandelnden Krankenhaus, verbleibe es beim ambulanten Charakter der Notfallbehandlung.

Daher sei eine vergütungswirksame stationäre Aufnahme in das Krankenhaus grundsätzlich auszuschließen, wenn die Aufnahmeuntersuchung ergebe, dass eine Weiterverweisung an ein anderes Krankenhaus medizinisch erforderlich ist. Etwas Anderes komme ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn vor Weiterverweisung des Patienten an ein anderes Krankenhaus zunächst Maßnahmen ergriffen werden, wie etwa eine Notoperation zur Herbeiführung der Transportfähigkeit, die nicht einmal in ihrem Kern im EBM abgebildet seien.

Die Kernaussage des Urteils: Wenn bei der akuten Erstversorgung des Patienten zwar eine Indikation für eine stationäre Aufnahme festgestellt wird, diese jedoch nicht im eigenen Krankenhaus, sondern in einem anderen Krankenhaus stattfinden soll, liegt in der Regel nur eine ambulante Behandlung vor.

 

Einordung des Urteils

In diesem Zusammenhang ist auch die Entscheidung des 6. Senates vom 11.09.2019, B 6 KA 6/18 R zu berücksichtigen. Der 6. Senat hatte sich mit einer ähnlichen Sachverhaltskonstellation beschäftigt. Auch hier wurden die Patienten nach der akuten Erstversorgung im klägerischen Krankenhaus zur stationären Aufnahme in ein anderes Krankenhaus weiterverwiesen. In dem Verfahren hatte das Krankenhaus die Erstversorgung jedoch nicht stationär, sondern über die Notfallambulanz mit der KV abgerechnet. Die KV verweigerte jedoch eine Vergütung mit der Begründung, durch die anschließende stationäre Aufnahme handele es sich lediglich um eine Aufnahmeuntersuchung. Diese sei mit der DRG abgegolten, auch wenn die stationäre Aufnahme in einem anderen Krankenhaus erfolgte. Es liege ein einheitlicher Behandlungsfall vor. Dem ist der 6. Senat des BSG nicht gefolgt und führte zur Begründung aus, es komme bei der Aufnahmeentscheidung darauf an, dass die Aufnahme des Patienten im eigenen Krankenhaus stattfinden solle. Es reiche nicht aus, dass eine Aufnahme in irgendeinem Krankenhaus geplant sei. Die Erstversorgung im erstbehandelnden Krankenhaus könne daher als ambulante Notfallleistung mit der KV abgerechnet werden.