Greift das Aufrechnungsverbot nach § 109 Abs. 6 SGB V, wenn die Gegenforderung ab dem 01.01.2022 entstanden ist?

Mit vier Entscheidungen vom 28.08.2024 (B 1 KR 18/23 R, B 1 KR 24/24 R, B 1 KR 25/24 R, B 1 KR 23/24 R) hat das Bundessozialgericht entschieden, dass in den dortigen Fällen das Aufrechnungsverbot nach § 109 Abs. 6 S. 1 SGB V nicht eingreife, da die Übergangs-PrüfvV für einen Übergangszeitraum (bis 31.12.2021) die Weitergeltung der Aufrechnungsmöglichkeit gemäß der PrüfvV 2016 regele und damit eine Vereinbarung im Sinne von § 109 Abs. 6 S. 3 SGB V vorliege, die mit höherrangigem Recht vereinbar sei. In den fraglichen Verfahren lagen die Sachverhalte so, dass die (strittigen) Behandlungen in den Jahren 2019 – 2021 erfolgten, die diesbezüglichen Aufrechnungen in den Jahren 2020 – 2021.

Seither sind einige (bislang nicht rechtskräftige) sozialgerichtliche Entscheidungen ergangen, gemäß welchen das Aufrechnungsverbot nach § 109 Abs. 6 S. 1 SGB V eingreift, wenn die Aufrechnung mit einer unstreitigen Gegenforderung erfolgt, die im Jahr 2022 entstanden ist.

So hat beispielsweise das SG Freiburg mit Urteil vom 17.10.2024 (S 13 KR 1484/24) entsprechend entschieden.

Annika Brčvak

Annika Brčvak

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Medizinrecht

Rechtsanwältin Brčvak berät und vertritt Krankenhäuser im Krankenhausrecht, insbesondere zur Vergütung stationärer Krankenhausleistungen, (DRG-Abrechnungen, Fallprüfungen) und hiermit in Zusammenhang stehenden Klageverfahren. Frau Brčvak ist zudem im Arzthaftungsrecht tätig.

Im fraglichen Fall wurde ein Versicherter in der Zeit vom 02.02.2021 bis zum 06.05.2021 stationär behandelt. Der von der beklagten Krankenkasse beauftragte Medizinische Dienst gelangte mit Gutachten vom 21.07.2022 zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen mehrerer Prozeduren und durch das klagende Krankenhaus abgerechneter Zusatzentgeltes nicht vorgelegen hätten. In der Folge nahm die Beklagte Krankenkasse an mehreren Tagen im Oktober 2022 Aufrechnungen mit unstreitigen Forderungen aus anderen Behandlungsfällen vor.

Das Gericht bestätigte die von den Prozessbevollmächtigten des klagenden Krankenhauses vertretene Rechtsauffassung, dass im fraglichen Fall das Aufrechnungsverbot nach § 109 Abs. 6 S. 1 SGB V eingreift.

Begründet wurde dies durch das Sozialgericht damit, dass im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung im Jahr 2022 das gesetzliche Aufrechnungsverbot bereits in Kraft getreten war und die durch die Krankenkasse erklärte Aufrechnung nicht von der gesetzlichen Ausnahme des § 109 Abs. 6 S. 2 SGB V gedeckt sei. Insbesondere greife nicht die in der Übergangsvereinbarung zur PrüfvV 2016 (mit gewissen Modifikationen), geregelte Fortgeltung der PrüfvV 2016, so dass die von der Krankenkasse erklärte Aufrechnung auch nicht von § 10 Satz 1 PrüfvV 2016 (in der Fassung der Übergangsvereinbarung vom 10.12.2019 nebst Ergänzungsvereinbarung vom 02.04.2020) gedeckt sei. Die fragliche Regelung habe im Zeitpunkt der Aufrechnung keine Gültigkeit mehr gehabt und finde auf die (prozessual unstreitig) im Jahr 2022 entstandenen unstreitigen Gegenforderungen keine Anwendung. Zwar sei für das Prüfverfahren im strittigen Behandlungsfall die PrüfvV 2016 aufgrund der Übergangsvereinbarung anwendbar, da die zwischen den Parteien strittige stationäre Behandlung im Jahr 2021 erfolgte. Jedoch sei das Prüfverfahren mit der abschließenden Leistungsentscheidung der Krankenkasse abgeschlossen. Die Aufrechnung betreffe nicht das Prüfverfahren selbst.

Bzgl. der Aufrechnung seien daher die zum Zeitpunkt der Aufrechnung geltenden Vorschriften anzuwenden, im fraglichen Fall mithin § 109 Abs. 6 S. 1 SGB V und die PrüfvV 2022, da diejenige PrüfvV anzuwenden sei, die zur Zeit des Entstehens der Forderungen, gegen die die Aufrechnung vorgenommen wurde, gelte. Dies leitet das Gericht u.a. aus der Entscheidung des BSG vom 28.08.2024 im Verfahren B 1 KR 23/24 R her. Da einer der Tatbestände des § 11 Abs. 4 S. 1 PrüfvV 2022 nicht eingreife, verbleibe es bei der Geltung des Aufrechnungsverbotes nach § 109 Abs. 6 S. 1 SGB V. Die Beklagte Krankenkasse hat Berufung zum LSG Stuttgart eingelegt, welche aktuell noch anhängig ist.

Fazit

Aus den mittlerweile vorliegenden Urteilsgründen des Bundessozialgerichts, insbesondere in dem Verfahren B 1 KR 23/24 R, lässt sich entnehmen, dass auch das BSG für die Frage, ob das Aufrechnungsverbot nach § 109 Abs. 6 S. 1 SGB V und die PrüfvV 2022 eingreift, auf das Aufnahmedatum des unstreitigen Falles, welcher als Gegenforderung herangezogen wird, abstellt. Datiert dieses aus dem Jahr 2022, greift mangels eines gesetzlichen oder vertraglichen Ausnahmetatbestandes das Aufrechnungsverbot demnach ein.