Fallzusammenführung nach fiktivem wirtschaftlichen Alternativverhalten und Beurlaubung

Ein Überblick über die aktuelle Rechtslage sowie Rechtsprechung

Die vom Bundessozialgericht entwickelten Grundsätze des fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens sind präsenter denn je. Jüngst hat das Bundessozialgericht (Urteil vom 26.04.2022, B 1 KR 14/21 R) bekräftigt, dass das Wirtschaftlichkeitsgebot Krankenhäuser dazu zwingt, bei der Behandlungsplanung anderweitige wirtschaftliche Alternativen zu prüfen. Das Krankenhaus kann dabei lediglich die Vergütung beanspruchen, die bei einem „fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhalten“ angefallen wäre. Besonders relevant ist dies bei der Fallzusammenführung. Der Gesetzgeber hat hier bekanntlich gegengesteuert und in § 8 Abs. 5 KHEntgG einen dritten Satz eingefügt. Einfach, aber wirkungsvoll:

„In anderen als den vertraglich oder gesetzlich bestimmten Fällen ist eine Fallzusammenführung insbesondere aus Gründen des Wirtschaftlichkeitsgebotes nicht zulässig.“

Philipp Schachtschneider

Philipp Schachtschneider

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht

Rechtsanwalt Schachtschneider berät und vertritt Krankenhäuser im Krankenhausrecht, insbesondere zur Vergütung stationärer Krankenhausleistungen, (DRG-Abrechnungen, Fallprüfungen) und hiermit in Zusammenhang stehenden Klageverfahren.

Neben der Fallzusammenführung nach „fiktivem wirtschaftlichen Alternativverhalten“ hat sich in den letzten Jahren die Forderung nach einer fiktiven „Beurlaubung“ als Argument der Kostenträger etabliert. Anstelle einer Wiederaufnahme hätte als wirtschaftlichere Möglichkeit eine Beurlaubung ausgesprochen werden können. Das Bundessozialgericht hat dabei bislang explizit offengelassen, ob sich § 8 Abs. 5 S. 3 KHEntgG auch auf die „Beurlaubung“ auswirkt. Jedenfalls käme der gesetzlichen Neuregelung erst Wirkung für Fälle mit Aufnahme ab dem 01.01.2019 zu.

Zwischenzeitlich hatte die Gerichtsbarkeit Gelegenheit, sich dieser Problematik anzunehmen. Die Tendenz könnte eindeutiger nicht sein: § 8 Abs. 5 S. 3 KHEntgG schließt auch bei geforderter fiktiver Beurlaubung die abrechnungsrechtliche Zusammenfassung zweier stationärer Aufenthalte zu einem abrechenbaren Behandlungsfall aus wirtschaftlichen Gründen aus. Das Sozialgericht Duisburg (S 17 KR 1279/20) führt diesbezüglich sehr prägnant aus:

„Es kann vorliegend offenbleiben, ob die Klägerin gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 SGB V verstoßen hat, indem diese den Versicherten am xx.xx.2019 entlassen und am xx.xx.2019 erneut aufgenommen hat, anstatt diesen zu beurlauben. Nach der zum 01.01.2019 neu eingefügte Reglung des § 8 Abs. 5 KHEntgG KHEntgG ist in anderen als den vertraglich oder gesetzlich bestimmten Fällen eine Fallzusammenführung insbesondere aus Gründen des Wirtschaftlichkeitsgebots nicht zulässig. […] Durch die Neufassung von § 8 Abs. 5 S. 3 SGB V ist das Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 SGB V allerdings eingeschränkt worden, da ausdrücklich bestimmt wird, dass eine Fallzusammenführung insbesondere aus Gründen des Wirtschaftlichkeitsgebots nicht zulässig ist

Gleichlautend haben sich u.a. die 60. (S 60 KR 1468/21) und 54. Kammer (S 54 KR 1051/20) des Sozialgerichts Duisburg sowie die Sozialgerichte Aachen (S 13 KR 345/20), Regensburg (S 16 KR 1616/19), Augsburg (S 10 KR 400/21) u.a. positioniert. Das Bundessozialgericht konnte diese Fragestellung in seiner Entscheidung vom 19.11.2019 (B 1 KR 6/19 R) offenlassen, da dem Verfahren ein Fall aus dem Jahr 2012 zugrunde lag.

Zwischenzeitlich hat die Rechtsfrage auch verschiedene Landessozialgerichte erreicht (u.a. das LSG NRW). Hochaktuell liegt die erste zweitinstanzliche Entscheidung vor. Das LSG Rheinland-Pfalz führt in seiner Entscheidung vom 07.04.2022 (L 5 KR 212/21) pointiert dazu wie folgt aus:

„Ohne Erfolg macht die Beklagte mit ihrer Berufung weiterhin geltend, die Klägerin hätte den Versicherten wegen der Behandlung in zwei Krankenhausaufenthalten unwirtschaftlich behandelt und daher nur Anspruch auf diejenige Vergütung, die bei fiktivem wirtschaftlichen Alternativverhalten angefallen wäre, nämlich bei einer Behandlung des Versicherten in einem einzigen, durch Beurlaubung lediglich unterbrochenen Krankenhausaufenthalt. Denn diese Rechtsprechung ist zur Überzeugung des Senats für den Abrechnungszeitraum ab 01.01.2019 überholt. Durch Art. 9 Nr. 6c Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (…) hat der Gesetzgeber § 8 Abs. 5 Satz 3 KHEntgG mit Wirkung zum 01.01.2019 eingefügt (…). Wie das SG […] dargelegt hat, hat der Gesetzgeber mit dieser Regelung, […] der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Rechtsfigur des fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens den Boden entzogen.“

Mit dieser eindeutigen Rechtsprechungstendenz muss festgehalten werden, dass dem schrankenlosen Begehren der Kostenträger nach wirtschaftlichem Alternativverhalten für den Moment Einhalt geboten wurde. Letztlich wird das Bundessozialgericht Klarheit schaffen müssen. Eine Revision gegen das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz ist bereits anhängig (B 1 KR 10/22). Hinsichtlich der Behandlungsfälle ab dem 01.01.2019 dürfte es daher zu einer letztinstanzlichen Klärung noch im Jahr 2022 kommen können.