Bundessozialgericht, Urteil vom 26.04.2022 – B 1 KR 15/21 R

Am 26.04.2022 hat das BSG über die unzulässige Auslagerung von wesentlichen Leistungen des Versorgungsauftrags eines Krankenhauses entschieden:

I.

Streitig war die Abrechnung strahlentherapeutischer Leistungen. Das Krankenhaus war im Krankenhausplan mit einer Abteilung für Strahlentherapie aufgenommen. Die Abteilung war seit dem Jahr 2005 geschlossen und es bestand ein Kooperationsvertrag mit einer vertragsärztlich zugelassenen Praxis für Strahlentherapie über die Erbringung von Strahlentherapieleistungen für stationär behandelte Patienten.

Die Strahlentherapiepraxis behandelte eine Patientin seit Oktober 2010 ambulant. Ende Oktober wurde die Patientin stationär im Krankenhaus der Klägerin behandelt. Während des stationären Aufenthaltes wurde die Strahlentherapie in der Strahlentherapiepraxis fortgesetzt. Das Krankenhaus rechnete gegenüber der Krankenkasse die DRG I39Z unter Berücksichtigung von strahlentherapeutischen Leistungen ab. Die Krankenkasse verweigerte die Zahlung dieses Anteils der Vergütung. Die Klage des Krankenhauses hatte vor dem SG und dem LSG Erfolg. Die Revision der Krankenkasse war vor dem BSG erfolgreich.

II.

Dem BSG zufolge durfte das Krankenhaus die strahlentherapeutischen Leistungen nicht abrechnen, da es diese nicht selbst vorgenommen habe (1.) und es sich auch nicht um vom Krankenhaus veranlasste Leistungen Dritter im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 2 KHEntgG gehandelt hätte (2.).

1.

Eine nicht im Krankenhaus erbrachte ärztliche Leistung, für die auch keine Mittel des Krankenhauses eingesetzt wurden, sei keine Krankenhausleistung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG. Solche wären zwar auch durch nicht fest angestelltes ärztliches Personal möglich, aber auf die Leistungserbringung „im“ Krankenhaus beschränkt. Ein zentrales Merkmal der Leistungserbringung „im“ Krankenhaus sei, dass Leistungen in Räumlichkeiten erbracht werden, die vom Krankenhaus selbst genutzt und verwaltet werden. Eine Leistung außerhalb des Krankenhauses sei keine vom Krankenhaus selbst erbrachte Leistung. Bei fehlendem räumlichen Bezug könne eine Leistung nur dann als Krankenhausleistung abgerechnet werden, wenn das Gesetz hierfür den Einsatz von sächlichen oder personellen Mitteln des Krankenhauses ausreichen lasse (z.B. bei der stationsäquivalenten psychiatrischen Behandlung im häuslichen Umfeld, § 115d SGB V).

2.

Eine grundsätzlich fehlende Leistungsfähigkeit des Krankenhauses könne nicht durch die Einschaltung von ambulanten Leistungserbringern umgangen werden. Eine regelmäßige und planvolle Auslagerung von wesentlichen Leistungen des Versorgungsauftrags auf Dritte sei unzulässig. Nur im Einzelfall und unter Berücksichtigung der eigenen Leistungsfähigkeit dürften Krankenhäuser Leistungen Dritter veranlassen, die ihnen dann zugerechnet werden können.

Das Bestehen eines Vergütungsanspruchs setze grundsätzlich voraus, dass das Krankenhaus für erbrachte Leistungen leistungsfähig sei. Die Leistungsfähigkeit liege vor, wenn ein Krankenhaus dauerhaft über die erforderliche personelle, räumliche und medizinisch-technische Ausstattung verfüge. Fehlende Leistungsfähigkeit sei ein Grund zur Kündigung des Versorgungsvertrages durch die Krankenkassen nach § 110 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Das Maß der notwendigen personellen, räumlichen und medizinisch-technischen Ausstattung bestimme sich dabei nach dem erteilten Versorgungsauftrag.

Dies sei auch dadurch begründet, dass die Aufwendungen für Unterhaltung und Betrieb der medizinisch-technischen Ausstattung in die Kalkulation der Relativgewichte einer DRG einfließen. Wenn ein Krankenhaus die für die Erfüllung des Versorgungsauftrages erforderliche Ausstattung nicht vorhalte und Leistungen grundsätzlich nicht selbst erbringe, fielen die Aufwendungen nicht an, ohne dass damit eine Minderung der Vergütung verbunden wäre. Dies könnte nach dem BSG finanzielle Anreize begründen, bestimmte Leistungen auszulagern.

Krankenhäuser hätten daher für die im Versorgungsauftrag ausgewiesenen Bereiche die räumliche, apparative und personelle Ausstattung zur Erbringung der wesentlichen Leistungen selbst vorzuhalten. Wesentlich seien dabei alle Leistungen, die in der ausgewiesenen Fachabteilung regelmäßig notwendig sind. Unterstützende und ergänzende Leistungsbereiche, wie z.B. Labor oder Radiologie können eine Ausnahme bilden.

Voraussetzung für die (fiktive) Abrechenbarkeit als ambulante Leistung ist zusammengefasst die Zulassung zur Durchführung der jeweiligen ambulanten Operation, die Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit dieser Operation sowie die Einhaltung der personellen und sächlichen Mindeststandards. Ein vertraglicher Vergütungsanspruch für eine ambulant durchführbare Operationsleistung wird insbesondere nach Maßgabe der einschlägigen EBM-Gebührenlegende erwirkt, sobald deren Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Nach § 115b Abs. 2 S. 4 SGB V ist die Leistung unmittelbar seitens der Krankenkassen zu vergüten. Eine entsprechende fiktive Abrechnung kann auch im gerichtlichen Verfahren noch nachgereicht werden.

Festzuhalten bleibt nach alledem, dass sich nicht nur die Krankenkassen auf ein fiktives wirtschaftliches Alternativverhalten berufen können. Die obige Sachverhaltskonstellation steht exemplarisch für unzählige Behandlungsstreitfälle und Gerichtsverfahren, in denen seitens der Krankenkasse bzw. des Medizinischen Dienstes eine primäre Fehlbelegung postuliert wurde.

FAZIT

Die Entscheidung des BSG stellt klar, dass Krankenhäuser zur Erfüllung ihres Versorgungsauftrags die notwendigen räumlichen, technischen und personellen Kapazitäten selbst vorzuhalten haben. Die Auslagerung von Leistungen ist nur in begrenztem Umfang möglich. Eine unzulässige Auslagerung kann die fehlende Leistungsfähigkeit des Krankenhauses begründen und einen Grund zur Kündigung des Versorgungsvertrages darstellen.