Urteilsbesprechung: BSG, B 1 KR 26/18 R vom 26.05.2020

Sachverhalt

Der Versicherte wurde vom 05. – 11.08.2009 infolge eines Harnwegsinfekts mit ESBL-Besiedelung vollstationär behandelt. Während der Behandlung bestand eine Versorgung mittels SPDK, welcher während des Aufenthaltes nicht gewechselt wurde. Zur Abrechnung gelangte die DRG L69B mit einem Rechnungsbetrag von 2.984,82 EUR. Hierfür wurde als Hauptdiagnose T83.5 (Infektion und entzündliche Reaktion durch Prothese, Implantat oder Transplantat im Harntrakt) kodiert. Zudem wurden als Nebendiagnosen U80.4! (<…> oder mit nachgewiesener Resistenz gegen alle Beta-Laktam Antibiotika [ESBL-Resistenz]) sowie N18.81 (Chronische Niereninsuffizienz, Stadium I) angeführt.

Christopher Tackenberg

Christopher Tackenberg

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht

Rechtsanwalt Tackenberg berät und vertritt Krankenhäuser im Krankenhausrecht, insbesondere zur Vergütung stationärer Krankenhausleistungen, (DRG-Abrechnungen, Fallprüfungen) und hiermit in Zusammenhang stehenden Klageverfahren.

Nach der MDK-Prüfung wurde ein Betrag von 1.526,68 EUR mit anderen unstreitigen Forderungen verrechnet. Als Hauptdiagnose sei N30.0 (Akute Zystitis) bzw. N39.0 (Harnwegsinfektion, Lokalisation nicht näher bezeichnet) zu verwenden, womit die DRG L63F zu vergüten gewesen sei. Während die 1. Instanz (Sozialgericht Chemnitz) dem Krankenhaus Recht gab, wies das Sächsische LSG die Berufung der beklagten Krankenkasse zurück. Nach dem Wortlaut und ergänzt um systematische Erwägungen sei T83.5 spezifischer als N30.0. Im Rahmen des Revisionsverfahrens bemängelte die Kasse, dass der SPDK keine Prothese, Implantat oder Transplantat im Sinne des Codes sei. Auch habe das LSG nicht festgestellt, dass der nachgewiesene Harnwegsinfekt durch den Katheter eingetreten sei.

Entscheidung

Das BSG hat der Revision stattgegeben und die beiden vorangegangenen Urteile aufgehoben und damit letztlich die Klage des Krankenhauses abgewiesen.

Es fordert N30.0 als Hauptdiagnose. Hierzu führt es in der Urteilsbegründung aus, dass nach der allgemeinen Kodierrichtlinie D002f Codes nach den Kategorien T80-T88 (Komplikationen bei chirurgischen Eingriffen und medizinischer Behandlung, anderenorts nicht klassifiziert) nur dann als Hauptdiagnose zu verschlüsseln seien, wenn kein spezifischerer Kode in Bezug auf die Erkrankung bzw. Störung existiere oder die Verschlüsselung dieses spezifischeren Codes durch ein Exklusivum ausgeschlossen sei.

So könne es dahinstehen, ob sämtliche Voraussetzungen des Codes T83.5 vorgelegen haben, also ob der bei dem Versicherten vorliegende Harnwegsinfekt durch den bei ihm eingesetzten SPDK als Unterfall einer Prothese, eines Implantats oder Transplantats bedingt gewesen sei. Schließlich existiere mit N30.0 ein spezifischerer Code.

Die Subsumtion des Gerichts soll im Folgenden aus dem schriftlichen Urteilsgründen zitiert werden:

Nach dem Wortlaut der DKR D002f ist die Frage, ob kein spezifischerer Kode als ein Kode aus der dort abgebildeten Tabelle 1 (die ebenfalls alle den Zusatz „anderenorts nicht klassifiziert“ enthalten) oder nach den Kategorien T80-T88 existiert, „in Bezug auf die Erkrankung bzw. Störung“ zu prüfen.

Der Ursache der Erkrankung oder Störung kommt danach nur dann Bedeutung zu, wenn damit die Erkrankung bzw. Störung als solche näher spezifiziert werden kann, als dies mit anderen Kodes der Fall ist. Als Beispiel hierfür nennen die DKR die Elektrodendislokation bei einem Herzschrittmacherträger (Beispiel 7 zur DKR D002f S 7). Hier beschreibt der Kode T82.1 (Mechanische Komplikation durch ein kardiales elektronisches Gerät) die Störung spezifischer als der alternativ in Betracht kommende Kode I97.8 (Sonstige Kreislaufkomplikationen nach medizinischen Maßnahmen, anderenorts nicht klassifiziert).

Das korreliert auch mit Wortlaut und Systematik des ICD-10-GM. Denn die in der DKR D002f geregelte Subsidiarität der Kodes aus T80-T88 ergibt sich dort auch aus dem Zusatz „anderenorts nicht klassifiziert“ im Titel der Gruppe T80-T88.

Danach war im Fall des Versicherten N30.0 gegenüber T83.5 der spezifischere Kode (vgl auch die Kodierempfehlung KDE-212 der Sozialmedizinischen Expertengruppe „Vergütung und Abrechnung“ der Medizinischen Dienste , abrufbar unter https://foka.medizincontroller.de/index.php/KDE-212, zuletzt aktualisiert am 27.4.2015). Denn nach dem Gesamtzusammenhang der vom LSG getroffenen Feststellungen, die von den Beteiligten nicht mit Verfahrensrügen angegriffen wurden und deshalb für den Senat bindend sind (§ 163 SGG), litt der Versicherte an einer akuten Harnblasenentzündung, die den stationären Aufenthalt auch hauptsächlich veranlasst hat. Diese Erkrankung wird durch den Kode N30.0 (Akute Zystitis) sowohl hinsichtlich ihrer Lokalisierung (Harnblase) als auch hinsichtlich der Art der Erkrankung (akute Entzündung) spezifischer bezeichnet als durch den Kode T83.5 (Infektion und entzündliche Reaktion durch … im Harntrakt). Selbst wenn die Entzündung durch den suprapubischen Blasenkatheter verursacht worden sein sollte – was das LSG nicht festgestellt hat -, wäre diese zusätzliche Information aus T83.5. im vorliegenden Fall nicht geeignet, die Erkrankung als solche spezifischer zu beschreiben.” 

Im Kapitelvorspann XIV (Krankheiten des Urogenitalsystems (N00-N99) findet sich ein Exklusivum (“Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen (S00-T98)“). Dieses schließe jedoch die Kodierung im vorliegenden Fall nicht aus. Zwar ginge hieraus grundsätzlich ein Vorrang der ursachenspezifischen Erkrankungen gegenüber den organspezifischen Krankheiten hervor. Dieser sei jedoch nur dann einschlägig, wenn auch die Voraussetzungen des jeweiligen Codes (hier also von T83.5) erfüllt seien. Aufgrund der Gruppenüberschrift zu T80-T88 “anderenorts nicht klassifiziert” sei dies hier nicht der Fall.

Auch käme die im folgenden zitierte weitere systematische Erwägung hinzu:

“Denn wollte man den in dem Kapitelvorspann der meisten organspezifischen Krankheiten enthaltenen Exklusiva in Bezug auf das Kapitel XIX (S00-T98) einen generellen Vorrang der Kodes dieses Kapitels beimessen, wären die zahlreichen spezielleren Exklusiva in anderen Kapiteln (vgl zB die Exklusiva bei G93.1, H59.-, I97.-, J43.-, J95.-, K65.-, L23.3, L50.-, M96.6) in Bezug auf einzelne oder Kategorien von Kodes des Kapitels XIX überflüssig und nicht verständlich.”

Als Nebendiagnose habe T83.5 sodann auch nicht kodiert werden dürfen. Eine Mehrfachkodierung sei für ein und dieselbe Erkrankung nämlich nur nach den in der DKR D012f abschließend aufgeführten Fallgruppen zulässig. Dies sei einerseits das Kreuz-Stern-System; andererseits die ausdrücklich in den jeweiligen Fällen vorgesehene Doppelklassifizierung. Diese sei jedoch hinsichtlich der Zystitis lediglich in Bezug auf den Infektionserreger einschlägig. Hinsichtlich weiterer Ursachen, wie hier dem SPDK, existiere eine derartige Regelung gerade nicht. Im Übrigen sei auch kein die Kodierung rechtfertigender zusätzlicher Aufwand festzustellen.

Fazit

Einmal mehr betont das BSG die eng am Wortlaut zu erfolgende Auslegung. Ein letztlich jahrelanger und immer wiederkehrender Streit zwischen Kassen und Kliniken findet mit diesem Urteil seine Erledigung – leider ein weiteres Mal zum Nachteil der Krankenhausseite. Es zeigt die Subsidiarität der T-Codes auf. Sobald sich also ein organspezifischerer Code findet, genießt dieser für die Kodierung den Vorzug. In der Konsequenz führt dies leider auch dazu, dass ein T-Code als (zusätzliche) Nebendiagnose ausscheidet. Auch wird damit letztlich dem FoKA widersprochen, der in seinem Kommentar zur KDE 249 beispielsweise den T-Code als Nebendiagnose für kodierfähig hielt. Völlig überflüssig erscheinen die Ausführungen des BSG hinsichtlich eines zusätzlichen Aufwandes für den T-Code als mögliche Nebendiagnose. Hierdurch werden letztlich mehr Fragen aufgeworfen, als beantwortet. Bedauerlich ist dies vor dem Hintergrund, dass das Ergebnis aufgrund der übrigen Ausführungen völlig unerheblich für die Entscheidungsfindung gewesen wäre. Somit steht jedoch zu befürchten, dass die Kassenseite auch in Zukunft einen diagnose-spezifischen, insbesondere zusätzlichen Aufwand für jede einzelne Diagnose fordern wird, obwohl in der DKR D003 ausdrücklich beschrieben wird: Bei Patienten, bei denen einer dieser erbrachten Faktoren auf mehrere Diagnosen (entweder Hauptdiagnose und Nebendiagnose(n) oder mehrere Nebendiagnosen) ausgerichtet ist, können alle betroffenen Diagnosen kodiert werden. Somit ist es unerheblich, ob die therapeutische(n)/diagnostische(n) Maßnahme(n) bzw. der erhöhte Betreuungs-, Pflege- und/oder Überwachungsaufwand auch in Bezug auf die Hauptdiagnose geboten waren.“