NUB-Vereinbarungen gemäß § 6 Abs. 2 Krankenhausentgeltgesetz

Krankenhäuser aufgepasst!

Der berüchtigte 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 19.12.2017 – B 1 KR 17/17 R – wie dem kurz nach Sitzungsende bereits veröffentlichten Terminbericht Nr. 63/17 zu entnehmen war, geurteilt, dass die Implantation von Coils eine experimentelle, dem Qualitätsgebot nicht entsprechende, Behandlungsmethode außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung darstelle.

Ralf Bregenhorn-Wendland

Ralf Bregenhorn-Wendland

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Sozialrecht

Rechtsanwalt Bregenhorn-Wendland berät und vertritt Krankenhäuser im Krankenhausrecht, insbesondere im Krankenhausplanungsrecht sowie in Abrechnungsfragen.

Die Aussage ist ebenso pauschal wie falsch. Auf der Grundlage dieses Terminberichts, ohne Kenntnis der Entscheidungsgründe, wurden verschiedene Krankenhäuser in Deutschland noch zwischen Weihnachten und Silvester 2017 von Krankenkassen auf Rückzahlung der Vergütung für Behandlungsfälle des Kalenderjahres 2017 verklagt. Diese Klagen werden mit großer Wahrscheinlichkeit der Abweisung unterliegen. Der 1. Senat des BSG hat den Krankenkassen mit seinem undifferenzierten Terminbericht einen Bärendienst erwiesen.

Hätte das BSG die fehlerhaften Tatsachenfeststellungen in der Überraschungsentscheidung der Vorinstanz, des 5. Senats des LSG Baden-Württemberg, nicht unreflektiert – wie es zunächst scheinen mag – seiner eigenen Entscheidung zugrunde gelegt, sondern, der erhobenen Verfahrensrüge entsprechend, an die Vorinstanz zur Nachholung einer fehlerfreien Tatsachenfeststellung zurückverwiesen, was es zutreffend unmittelbar zuvor hinsichtlich des Rechtsstreits unter Az. B 1 KR 18/17 R – (Beatmungsfall) genau so getan hatte, hätte das LSG feststellen müssen, dass spätestens seit dem Zeitpunkt der RESET-Publikation unter Zugrundelegung der Kriterien der evidenzbasierten Medizin keinesfalls mehr die LVRC als experimentelle Methode bezeichnet werden durfte (Shah PL, Zoumot Z, Singh S et al.; Endobronchial coils for the treatment of severe emphysema with hyperinflation (RESET); a randomized controlled trial. The lancet Respiratory Medicine 2013; 1 : 233-40; Mai 2013; epub 22. April 2013).

Stattdessen stützt sich die Entscheidung ausschließlich – wie die der Vorinstanz ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens und unter Ignoranz des Vortrages des klagenden Krankenhauses – auf ein Gutachten einer fachfremden MDK-Gutachterin, mit welchem die Evidenzlage zum Zeitpunkt der Leistungserbringung verzerrt und tatsachenwidrig dargestellt wurde.

Bekanntlich hat auch das IQWiG als neutrales Institut im Auftrag des GBA in seinem Bericht Nr. 487 zu Verfahren zur Lungenvolumenreduktion bei schwerem Lungenemphysem der randomisierten RESET-Studie einen Anhaltspunkt für Nutzen ohne Hinweis auf Schaden attestiert.

Das BSG hat aber nicht lediglich unreflektiert die fehlerhaften Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz übernommen, sondern offensichtlich zielgerichtet, da es ansonsten seine Ausführungen zu § 137c Abs. 3 SGB V und § 6 Abs. 2 KHEntgG nicht mehr hätte unterbringen können.

Der Wunsch auf Darstellung eigener Rechtspositionen durch den 1. Senat des BSG dürfte somit über den Wunsch der Parteien, was jedenfalls für das klagende Krankenhaus gilt, auf sachgerechte Entscheidung gestellt worden sein. Dass es sich bei dem 1. Senat, aus welcher Motivation heraus auch immer, um „Getriebene“ zu handeln scheint, wird auch deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Senat den Rechtsstreit zum Az. B 1 KR 18/17 R – (Beatmungsfall) bereits terminiert hatte, bevor überhaupt die Revisionserwiderung vorlag. Auch zur Fortsetzung dieses Verfahrens vor dem LSG Baden-Württemberg, dies sei bereits versprochen, werden wir zu einem späteren Zeitpunkt noch berichten.

Zur im Urteil dann geäußerten Rechtsauffassung des 1. Senats des BSG zur klarstellenden Regelung in § 137c Abs. 3 SGB V durch das GKV-VSG wurde bereits viel Kritik geäußert (bspw.: Wolfgang Leber; Coils, Qualitätsgebot, BSG – und jetzt?, Das Krankenhaus 4/2018, Seite 330 ff.;
Dr. Alexander Natz; Auswirkungen des Urteils des BSG vom 19.12.2017 auf die Vergütung der BLVR mittels Coils in der stationären Versorgung, Kurzgutachten vom 07.03.2018, Anhang zu Rundschreiben der Krankenhausgesellschaften). Die Kritik wird uneingeschränkt geteilt. Aus diesem Grunde hat der Unterzeichnete wegen Eingriffs in die durch Artikel 12 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit des klagenden Krankenhauses auch im Auftrag des Krankenhauses gegen die Entscheidung des BSG die Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht erhoben. Dies dürfte der richtige, bedauerlicherweise wohl aber auch der einzige, Weg sein, um dem 1. Senat des Bundessozialgerichts noch Einhalt zu gebieten.

Die Verfassungsbeschwerde beschäftigt sich unter dem Gesichtspunkt der Berufsausübungsfreiheit maßgeblich mit der innovationsfeindlichen Ansicht des 1. Senats des BSG zum Gehalt der Vorschrift des § 6 Abs. 2 KHEntgG.

Sollte diese Ansicht bestand haben, was dem einen oder anderen Verantwortlichen im Krankenhaus mutmaßlich noch nicht hinreichend bewusst sein dürfte, können einzelnen Krankenhäusern für die – in der Regel teuren – NUB-Leistungen der Vergangenheit noch Rückzahlungsforderungen der Krankenkassen ins Haus stehen. Der Abschluss von NUB-Vereinbarungen wäre aber auch für das Krankenhaus – und nur für das Krankenhaus – generell mit unkalkulierbaren finanziellen Risiken verbunden. Die Krankenkassen können sich hingegen getrost zurücklehnen, die Leistungen nach geschlossener NUB-Vereinbarung zugunsten ihrer Versicherten erbringen lassen, um dann Jahre später die vermeintliche „Qualitätskarte auszuspielen“. Der 1. Senat des BSG ist erneut seiner Verpflichtung zur Schaffung von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden nicht gerecht geworden.

So sei hier zur Veranschaulichung der der Entscheidung des BSG im Hinblick auf § 6 Abs. 2 KHEntgG zugrundeliegende Sachverhalt kurz skizziert:

Unter dem Datum des 07.03.2012 schlossen die Sozialleistungsträger mit dem Krankenhaus eine Vereinbarung über die Vergütung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB) gemäß § 6 Abs. 2 S. 6 KHEntgG für das Kalenderjahr 2012, die in der Aufstellung E3.2 – Aufstellung der Zusatzentgelte – die Zusatzentgelte für das Einlegen von endobronchialen Nitinolspiralen, bronchoskopisch, beinhaltete. Vor Genehmigung der NUB-Vereinbarung durch das Regierungspräsidium mit Genehmigungsbescheid vom 19.06.2012 trafen sich am 29.05.2012 Vertreter der Sozialleistungsträger, des MDK, des Krankenhauses sowie klinisch erfahrene Experten, um Nutzen und Potenzial der Methode unter Berücksichtigung der Evidenzlage im Hinblick auf den Abschluss der NUB-Vereinbarung kontrovers zu diskutieren. Sozialleistungsträger und Krankenhaus kamen unter Einbeziehung der fachmedizinischen Kompetenz von MDK und klinischen Experten zu dem Schluss, die NUB-Vereinbarung durch das Regierungspräsidium genehmigen zu lassen, damit die hinsichtlich Nutzen und Potenzial von allen Beteiligten positiv bewertete Methode zugunsten der Versicherten der GKV erbracht werden kann. Auch für das Folgejahr 2013 schloss das Krankenhaus mit den Sozialleistungsträgern erneut eine NUB-Vereinbarung über die Erbringung und Abrechnung der LVRC. Auch diese wurde vom Regierungspräsidium, nachdem die Vertragspartner übereinstimmend deren Genehmigung beantragt hatten, rechtskräftig mit Genehmigungsbescheid vom 19.04.2013 genehmigt. Die streitgegenständliche Behandlung erfolgte dann im Juli 2013.

Für den 1. Senat des Sozialgerichts handelt es sich bei einer NUB-Vereinbarung gemäß § 6 Abs. 2 KHEntgG um eine reine Preisvereinbarung. Stelle sich im Nachhinein heraus, dass die vereinbarten Leistungen nicht dem Qualitätsgebot entsprächen, treffe das Krankenhaus gegenüber den Sozialleistungsträgern eine Rückzahlungsverpflichtung.

Nach diesseitiger Auffassung wohnt der seitens des Bundessozialgerichts vertretenen Ansicht ein krasses Fehlverständnis sowohl der Vorschrift des § 6 Abs. 2 KHEntgG als auch der auf der Grundlage dieser Vorschrift durch die Sozialleistungsträger und das Krankenhaus abzuschließenden NUB-Vereinbarung inne. Das Bundessozialgericht verkennt bereits, dass es sich bei der NUB-Vereinbarung um einen öffentlich-rechtlichen, kooperationsrechtlichen Vertrag im Sinne von § 54 VwVfG handelt, der für die Vertragsparteien mit entsprechender Bindungswirkung geschlossen wurde. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts enthält dazu keinerlei Ausführungen. Die erzielte Einigung zwischen den Sozialleistungsträgern und der Beschwerdeführerin führt zur Bindungswirkung der NUB-Vereinbarung – pacta sunt servanda. Nach § 241 Abs. 1 BGB, der über § 62 S. 2 VwVfG entsprechend gilt, ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Vor dem Hintergrund dieser Bindungswirkung ist die Einschätzung, die NUB-Vereinbarung begründe kein schutzwürdiges Vertrauen – so das Bundessozialgericht – durch nichts zu begründen. Das Bundessozialgericht hat weiter verkannt, dass die geschlossene NUB-Vereinbarung mit der Genehmigung durch die Landesbehörde, welche in § 14 Abs. 1 S. 2 KHEntgG dementsprechend durch den Gesetzgeber ausgestaltet wurde, die einen Verwaltungsakt kennzeichnende Außenwirkung erlangt. Der Verwaltungsakt der Genehmigung wurde mit Bekanntgabe nach § 41 VwVfG gegenüber den Verhandlungspartnern wirksam. Das Krankenhaus kann sich auf diesen begünstigenden Verwaltungsakt berufen. Es besteht Vertrauensschutz nach allgemeinen Grundsätzen.

Ob der 1. Senat des Bundessozialgerichts all dies übersehen oder bewusst ausgeblendet hat, soll an dieser Stelle der Beurteilung des geneigten Lesers überlassen werden. Hinzuweisen bleibt jedoch abschließend darauf, dass sich vorerst kein Krankenhaus blind auf den Abschluss bzw. den Bestand einer NUB-Vereinbarung verlassen sollte. Flankierende Maßnahmen sollten insoweit ergriffen werden: Krankenhäuser aufgepasst!