Keine automatische Nullvergütung bei fehlender oder unverhältnismäßig ausgestalteter Sanktionsregelung in den G-BA-Richtlinien nach dem 01.01.2016

Mit zwei aktuellen Urteilen vom 12.06.2025 (Az. B 1 KR 26/24 R und B 1 KR 30/23 R) hat das Bundessozialgericht (BSG) zur Frage Stellung genommen, ob ein Krankenhaus den Vergütungsanspruch vollständig verliert, wenn es gegen Mindestvorgaben in Qualitätssicherungs-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) verstößt, obwohl die jeweilige Richtlinie keine ausdrückliche Regelung eines Vergütungsausschlusses enthält.

Streitgegenständlich waren in den Verfahren Verstöße gegen die Richtlinie zur Kinderonkologie (KiOn-RL) und zur minimalinvasiven Herzklappenintervention (MHI-RL). In beiden Fällen hatten die Krankenkassen nach MD-Prüfungen bereits vergütete Krankenhausleistungen rückwirkend beanstandet und Rückforderungen geltend gemacht.

Das BSG hat die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und die Verfahren zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zurückverwiesen. Das Bundessozialgericht bestätigte jedoch ausdrücklich die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, dass ein bloßer Verstoß gegen eine Qualitätssicherungsrichtlinie ab dem 01.01.2016 nicht automatisch zu einem vollständigen Wegfall des Vergütungsanspruchs führt.

Bingül Suoglu

Bingül Suoglu

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Medizinrecht

Rechtsanwältin Suoglu berät und vertritt Krankenhäuser im Krankenhausrecht, insbesondere zur Vergütung stationärer Krankenhausleistungen, (DRG-Abrechnungen, Fallprüfungen) und hiermit in Zusammenhang stehenden Klageverfahren, außerdem berät sie Leistungserbringer zur Kostensicherung.

Nach der seit 2016 geltenden Rechtslage (§§ 136, 137 SGB V) bedarf es für einen Vergütungsverlust einer ausdrücklichen Regelung des G-BA in der jeweiligen Richtlinie. Der Gesetzgeber hat mit Wirkung zum 01.01.2016 klargestellt, dass die Festlegung eines Vergütungsausschlusses bei Verstößen gegen Mindestanforderungen in Qualitätssicherungsrichtlinien eine bewusste und verhältnismäßige Entscheidung des G-BA erfordert (§ 137 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 SGB V).

  • 137 Abs. 1 SGB V bestimmt in der ab dem 01.01.2016 geltenden Fassung ausdrücklich, dass der G-BA ein gestuftes System von Folgen der Nichteinhaltung von Qualitätsanforderungen nach den §§ 136 bis 136c festzulegen hat und die Maßnahmen verhältnismäßig zu gestalten und anzuwenden sind. Nach § 137 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 SGB V ist als Rechtsfolge eines Verstoßes gegen eine vom GBA festgesetzte Mindestanforderung ein Vergütungswegfall zwar zulässig, aber nicht zwingende Rechtsfolge. Eine generelle „Nullvergütung“ bei jeder Abweichung von Strukturvorgaben ist seitdem unzulässig.

Das BSG gibt damit seine bis Ende 2015 praktizierte Rechtsprechung zum Vergütungsverlust bei       G-BA-Verstößen ausdrücklich auf. Eine automatische Sanktionierung ohne ausdrückliche gesetzliche oder untergesetzliche Regelung widerspricht dem klaren Willen des Gesetzgebers. Nur wenn der G-BA in der jeweiligen Richtlinie ausdrücklich regelt, dass ein Verstoß gegen die Mindestanforderung zum Vergütungsverlust führt, kann dies rechtlich durchgesetzt werden. Zudem stellt das BSG klar, dass allein die Nichteinhaltung abstrakter Strukturvorgaben – etwa zur personellen Besetzung – nicht ohne Weiteres einen Verstoß gegen das allgemeine Qualitätsgebot des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V bedeutet. Vielmehr ist zu prüfen, ob im konkreten Behandlungsfall der anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse eingehalten wurde. Die bloße Abweichung von allgemeinen Strukturvorgaben genügt hierfür nicht.

Die Rückverweisungen an die Vorinstanzen erfolgten, weil das BSG nicht abschließend beurteilen konnte, ob die medizinischen Leistungen im konkreten Fall den allgemeinen Qualitätsanforderungen entsprochen haben. Dies ist im Einzelfall zu klären.

Fazit

Mit den beiden Urteilen hat das Bundessozialgericht eine grundlegende und für die Krankenhauspraxis äußerst bedeutsame und erfreuliche Klarstellung vorgenommen:

Bei Verstößen gegen Richtlinien des G-BA kommt ein Vergütungswegfall als grundsätzlich mögliche Rechtsfolge zwar weiterhin in Betracht, jedoch nur dann, wenn die jeweilige themenspezifische Richtlinie eine ausdrückliche und verhältnismäßige Sanktionsregelung enthält.  Ein Automatismus, wonach jede Abweichung von G-BA-Vorgaben zur „Nullvergütung“ führt, ist mit der geltenden Rechtslage unvereinbar.

Mit den Entscheidungen wird klargestellt, dass sich Krankenhäuser daher erfolgreich gegen Rückforderungen der Kostenträger auf Basis von MD-Kontrollberichten wehren können, wenn die entsprechende Richtlinie keine Regelung eines Vergütungsausschlusses enthält oder diese nicht verhältnismäßig ausgestaltet ist. Die Annahme einer zwingenden Rechtsfolge des Vergütungsausschlusses bei jedweder Abweichung von G-BA-Vorgaben wurde somit mit höchstrichterlicher Klarheit zurückgewiesen.