Aktuelles Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 29.04.2025

L 11 KR 3273/24 Gesetzliches Aufrechnungsverbot

Nunmehr liegt die erste Entscheidung eines zweitinstanzlichen Gerichts zum Aufrechnungsverbot für ab dem 01.01.2022 vorgenommene Aufrechnungen vor. Das Gericht hat sich mit der Fragestellung zu beschäftigen gehabt, ob die im Jahr 2022 erklärte Aufrechnung gegen das Aufrechnungsverbot des § 109 Absatz 6 S. 1 SGB V verstoße, der ein vermeintlicher Rückforderungsanspruch aufgrund der Behandlung eines Versicherten im Jahr 2021 zugrunde lag. Die beklagte Krankenkasse vertrat die Auffassung, dass das Aufrechnungsverbot des § 109 Absatz 6 S. 1 SGB V nicht greife, da für den Fall (Behandlung der Versicherten im Jahr 2021, Einleitung des MD-Prüfverfahrens 2021) die PrüfvV 2016 in der Übergangsvereinbarung vom 10.12.2019 gelte. Die PrüfvV 2022 sei daher nicht anzuwenden. Das erstinstanzliche Gericht, das Sozialgericht Freiburg, hatte am 17.10.2024, S 13 KR 1484/24, die Auffassung des klagenden Krankenhauses bestätigt, wonach die Übergangsvereinbarung vom 10.12.2019 und damit die PrüfvV 2016 nicht anzuwenden sei. Bei der Aufrechnung seien daher die zum Zeitpunkt der Aufrechnung geltenden Vorschriften und damit § 109 Absatz 6 S. 1 SGB V anzuwenden. Die hiergegen erhobene Berufung der Krankenkasse blieb nun ohne Erfolg.

Sven Kohlrusch

Sven Kohlrusch

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht

Rechtsanwalt Kohlrusch berät und vertritt Krankenhäuser im Krankenhausrecht, insbesondere zur Vergütung stationärer Krankenhausleistungen, (DRG-Abrechnungen, Fallprüfungen) und hiermit in Zusammenhang stehenden Klageverfahren.

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat am 29.04.2025 die Entscheidung des Sozialgerichts Freiburg bestätigt und die Berufung der Krankenkasse zurückgewiesen. Entgegen der seitens der Krankenkasse vertretenen Auffassung liege keine Vereinbarung nach § 17c Absatz 2 S. 1 KHG vor, die eine Aufrechnung erlauben würde, insbesondere sei § 10 S. 1 der PrüfvV 2016 im vorliegenden Fall nicht anzuwenden. Vielmehr sei die PrüfvV 2022 anzuwenden, die eine entsprechende Regelung nicht mehr vorsehe. Danach kann eine Krankenkasse nur noch eine vom Krankenhaus nicht bestrittene, geeinte oder rechtskräftig festgestellte Erstattungsforderung mit einem unstreitigen Leistungsanspruch des Krankenhauses aufrechnen.

Auch verfangen die Behauptungen der Krankenkasse, die PrüfvV 2016 sei weiterhin anzuwenden, weil die Aufnahme der Versicherten in 2021 erfolgt sei und damit noch während ihrer Gültigkeit, mithin ein Fall als Einheit angesehen werden müsse, nicht. Ob mit einer Vergütung aus einem solchermaßen abgeschlossenen Behandlungsfall aufgerechnet werde oder nicht, habe mit dem eigentlichen Prüfverfahren nichts mehr zu tun, sodass auch keine Aufspaltung eines Falles vorliege. Das Gegenteil sei der Fall, es erscheine nicht sachgerecht, einen aus dem Jahr 2022 resultierenden Vergütungsanspruch nach einer zu diesem Zeitpunkt bereits ungültigen Vorschrift zur Aufrechnung heranzuziehen, nur, weil hier „zufällig“ eine Aufrechnung mit einem älteren Anspruch erfolgen soll, dessen Prüfverfahren mit der Mitteilung nach § 8 PrüfvV (leistungsrechtliche Entscheidung) längst abgeschlossen sei. Diese Auslegung widerspräche der Intention des Gesetzgebers, zu verhindern, dass durch umfassende Aufrechnungen den Krankenhäusern Liquidität entzogen werde.

Schließlich begründet das Landessozialgericht seine Auffassung auch mit der aktuellen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 28.08.2024, B 1 KR 23/24 R. Dort ging es um einen Erstattungsanspruch wegen einer Behandlung eines Versicherten im Jahr 2019, der mit einem unstreitigen Vergütungsanspruch aus einer Behandlung aus 2020 aufgerechnet wurde. Das BSG hat in diesem Urteil ausgeführt, dass die Übergangs-PrüfvV vom 10.12.2019 Anwendung finde. Wäre es im Fall des BSG allein auf die dem Erstattungsanspruch zugrundeliegende Behandlung angekommen, hätte es dieser Ausführungen nicht bedurft, da diese im Jahr 2019 stattfand und zu diesem Zeitpunkt die erst zum 01.01.2020 in Kraft getretene Regelung des § 109 Absatz 6 SGB V (Aufrechnungsverbot) nicht hätte diskutiert werden müssen.

Die nunmehr erste zweitinstanzliche Entscheidung reiht sich in eine große Vielzahl positiver erstinstanzlicher Entscheidungen ein. Das Gericht hat die Revision zum Bundessozialgericht nicht zugelassen. Ein seitens der Krankenkasse eingeleitetes Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ist zwischenzeitlich beim Bundessozialgericht anhängig.

Nicht entschieden wurde über die Fragestellung, ob das ab dem 01.01.2022 gesetzlich vorgesehene Aufrechnungsverbot des § 109 Absatz 6 S. 1 SGB V auch für die spezielle Situation Anwendung findet, in der die Beklagte mit Forderungen aus Behandlungsfällen aus dem Jahr 2021 nach dem 01.01.2022 tatsächlich aufgerechnet hat. Wir gehen jedoch davon aus, dass auch für diese Fälle die PrüfvV 2022 anwendbar ist.